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3.3.3: Semantische Netze

Bei der Beschreibung der Relationen zwischen Thesaurustermen war allgemein von Oberbegriffen und von spezifischeren Begriffen gesprochen worden. Dabei war nicht genauer spezifiziert worden, wie diese Relationen bestimmt werden sollen. Werden Thesaurusterme als Deskriptoren im Information Retrieval eingesetzt, so soll meistens eine Anfrage durch Oberbegriffe allgemeiner oder durch spezifischere Begriffe spezifischer gemacht werden - im Allgemeinen also die Antwortmenge vergrößert oder eingeschränkt werden.

Systeme, in denen Begriffe oder Konzepte durch Relationen verbunden sind, können allerdings auch allgemeiner verwendet werden. So ist in der Forschung zur künstlichen Intelligenz versucht worden, Wissen durch semantische Netze oder auch durch Frames zu modellieren, die auch aus durch Relationen verbundenen Begriffen bestehen. Eines der bekannteren semantischen Netze ist "WordNet" ein seit 1985 in Princton entwickeltes System von Synonymmengen, die mit Relationen verknüpft sind (WordNet www [->], Fellbaum 1998 [->]). Unterdessen gibt es auch parallele Projekte in anderen Sprachen als Englisch. In semantischen Netzen können die Relationen nicht nur dazu verwendet werden, Deskriptoren in einer Anfrage zu ersetzen oder weitere Deskriptoren zu einer Anfrage hinzuzufügen, sondern es können aufgrund der Relationen logische Schlüsse gezogen werden. So können z. B. durch Vererbungsmechanismen Eigenschaften eines Konzepts auf dessen Unterkonzepte übertragen werden.

Man kann versuchen, solche Methoden auch im Information Retrieval einzusetzen, um ein Wissensgebiet zu strukturieren, zu modellieren und Objekte aus dem Gebiet zugänglich zu machen. Solche Systeme werden häufig als Ontologien bezeichnet, wobei die Meinungen darüber, ob das eine sinnvolle Bezeichnung ist, auseinander gehen. Sobald nun Relationen zur komplexeren Wissensverarbeitung - also z. B. zum logischen Schließen - verwendet werden, müssen in der Regel strengere Anforderungen an sie gestellt werden. So muss ein System aus Begriffen oder Konzepten und Relationen im Allgemeinen in sich konsistent sein, um sinnvolle Ergebnisse zu erzeugen. Das bedeutet insbesondere, dass die Relationen genauer definiert und beschrieben werden müssen, um Widersprüche zu vermeiden.

Man kann z. B. die allgemeiner-spezifischer Relation auf verschiedene Weise präzisieren:

Diese Beispiele zeigen die Analogie zur hierarchischen Klassifikation: Während bei der Klassifikation die Art der Spezialisierung im Prinzip für die ganze Hierarchie vorgegeben wird, ist es bei den semantischen Netzen möglich, verschiedene Arten der Spezialisierung in einem System zu berücksichtigen. Dadurch wird das System mächtiger, allerdings auch wesentlich komplizierter. Als Ansätze zu einer solchen Typisierung von Beziehungen zwischen Klassen können auch die Anhängezahlen bei Klassifikationen gesehen werden: Sie können ebenfalls spezifische Verbindungen zwischen Klassen darstellen, mit denen allerdings Verfeinerungen der Konzepte beschrieben, nicht aber Relationen definiert werden, auf denen Operationen wie Vererbung etc. durchgeführt werden.

Die Beispiele zeigen auch, dass unter verschiedenen Gesichtspunkten bzw. durch verschiedene Relationen ganz unterschiedliche Hierarchisierungen möglich sind. So kann man z. B. argumentieren, dass unter der Teil-Ganzes Beziehung ein Baum ein Teilkonzept des Waldes ist. Andersherum kann man über die Merkmalsbeschreibung z. B. das Konzept Baum als "Pflanze mit einem verholzten Stamm" beschreiben. "Wald" könnte dann als spezifischeres Konzept definiert werden, bei dem zusätzlich gefordert wird, dass mehrere Exemplare in einer geschlossenen Gruppe stehen. Je nach Sichtweise kann sich also eine genau gegensätzliche allgemeiner - spezifischer Relation ergeben. Das verweist mal wieder auf das allgemeine Problem, dass zwischen den formal definierten Konzepten und ihrer umgangsprachlichen Bedeutung eine Verbindung hergestellt werden muss, sobald ein System den Anspruch erhebt, einen Teil der Alltagswelt und ihrer sprachlichen Beschreibung abzubilden. Umgekehrt kann man daraus schliessen, dass deduktive Logik nicht immer ein überzeugendes Konzept ist, um menschliche Informationsverarbeitung zu simulieren. Zumindest benötigt sie sehr viel zusätzliches Hintergrundwissen, wenn Alltagssprache verarbeitet werden soll, wie die Auflösung der Referenz von "es" im Beispiel in Abbildung 28 zeigt.

ZUGANGAbb. 28: Kontextabhängigkeit der Dereferenzierung eines Pronomens


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