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4.1: Lernen

In der Psychologie bezeichnet man Lernen als eine Veränderung von Verhaltensdispositionen durch Erfahrung. Man spricht von Verhalten und nicht von Wissen, weil nur Verhalten beobachtet werden kann: Wissen kann nur durch Verhalten für andere manifest werden. Man spricht von Verhaltens disposition, also der Fähigkeit oder Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, weil das Lernen unabhängig davon ist, ob das Verhalten tatsächlich gezeigt wird. Der Einfluss von Erfahrung grenzt Lernen von Vorgängen wie Reifung oder Entwicklung ab. Die (mehr oder weniger) dauerhafte Veränderung der Verhaltensdisposition beruht auf Veränderungen im Gedächtnis bzw. der Gedächtnisinhalte; daher ist Lernforschung immer eng mit Gedächtnisforschung verknüpft.

Lernen kann also dadurch charakterisiert werden, dass sich eine Verhaltensdisposition d. h. die Fähigkeit oder Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, durch einen äußeren Einfluss ändert, ohne dass es sich dabei primär um eine mechanisch - körperliche Veränderung handelt. Das kann zum Beispiel die Fähigkeit sein

Umgangssprachlich bezeichnet man das Ergebnis eines Lernvorgangs beim Menschen als

Diese für Informatikerinnen und Informatiker sicherlich etwas umständliche Art, Lernen zu definieren, zeigt einen wichtigen Unterschied, zwischen einer empirischen Wissenschaft wie der Psychologie und einer Ingenieurwisssenschaft wie der Informatik. Während die letztere sich die Modelle und Strukturen vorgibt, die sie erforscht, muss die erstere versuchen, die im Alltagswissen und in der Umgangssprache verwendeten Begriffe so zu präzisieren und zu systematisieren, dass sie beobachtete Phänomene beschreiben und sie einer wissenschaftlichen Erforschung erschließen. Dabei steht zunächst die Beschreibung der Phänomene durch Beobachtung und Experimente im Vordergrund, und die Erklärung im Sinne eines kausalen Modells ist erst der zweite (oder n-te) Schritt.

Die Forschung zur künstlichen Intelligenz ( KI) bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen diesen beiden Ansätzen. Häufig werden die Aufgaben und insbesondere die erwarteten Lösungen der Aufgaben zwar am menschlichen Verhalten orientiert, sie werden aber eher ad hoc formuliert und nicht empirisch ermittelt. Es werden Modelle entwickelt, die einzelne Phänomene z. B. aus dem Bereich des Sprachverstehens so simulieren, wie sie die Untersuchenden verstehen. Sprache - insbesondere ihr syntaktischer Aspekt - ist ein beliebtes Forschungsgebiet, weil es dort anerkannte Regeln gibt. Diese Regeln werden in der Umgangssprache allerdings häufig missachtet - trotzdem klappt die Verständigung im Allgemeinen ziemlich gut (oft sogar besser, als wenn sich die Sprechenden an die Regeln halten). Genau diese Fähigkeit der "natürlichen Intelligenz", mit fehlerhaften, ungenauen und vagen Objekten umzugehen, ist aber eines der Hauptprobleme der (symbolorientierten) KI. Um dieses Problem anzugehen, kann man die verschiedenen Arten des Lernens betrachten und versuchen, die Prozesse, von denen man vermutet, dass sie die Robustheit der "natürlichen Intelligenz" gegenüber "Inkonsistenzen", "Vagheit" und "Fehlern" bewirken, nachzubilden.

Die Definition und die angeführten Beispiele zeigen, dass "Lernen" zum einen ein sehr breiter Begriff ist, zum anderen, dass er vor allem durch die Beispiele (das Lernmaterial) und durch die beobachteten Verhaltensänderungen beschrieben wird. Über die Änderungen im lernenden System können nur Modellannahmen entwickelt und experimentell überprüft werden. Diese Modelle können von einfachen Reiz - Reaktions Verknüpfungen (wie beim klassischen Konditionieren) bis zu komplexen Informationsverarbeitungsmodellen reichen.

Man kann die Lernprozesse unter einem Input - Output - Schema betrachten, also die Frage stellen: Welche Erfahrungen führen zu welchen Verhaltensdispositionen? Dann ist der einfachste Fall das Lernen eines konkreten Verhaltens durch üben, also z. B. Lernen eines Labyrinths bei Ratten, Fahrradfahren, Balancieren, Vokabelnlernen etc.: Es wird das Verhalten geübt, das auch abgeprüft wird.

Die nächst komplexere Aufgabe wäre nach diesem Schema das verallgemeinernde Lernen. Es werden Beispiele wahrgenommen, die den später zu lösenden Aufgaben zwar ähnlich, aber nicht mit ihnen identisch sind, die also eine Generalisierung verlangen. Solche Aufgaben sind z. B. das Lösen von bestimmten Arten von Rechenaufgaben oder das Kategorisieren von Objekten anhand von Beispielen, die untereinander ähnlich sind.

Während man bei solchen Aufgaben noch versuchen kann, sie mit einfachen Reiz-Reaktions-Verknüpfungsmodellen zu simulieren, müssen für andere Aufgaben komplexere Informationsverabeitungsmodelle angenommen werden, die z. B. mit Regeln arbeiten könnten. Mit solchen Modellen kann man Aufgaben angehen, bei denen Regeln oder Theorien gelernt werden, die dann an Beispielen überprüft werden. Schwieriger erscheinen die Aufgaben, bei denen Beispiele als Lernmaterial vorgegeben werden und eine Theorie abgeprüft wird. Diese Aufgaben erfordern die Konstruktion eines Modells oder einer Theorie.

Aufgrund dieser theoretischen Überlegungen kann man Rückschlüsse auf die Lernvorgänge versuchen. So könnte man annehmen, dass beim Lernen von Beispielen keine Modellbildung notwendig ist und deswegen aus "resourcenökonomischen" Gründen auch nicht stattfindet. Empirische Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass diese Annahme so nicht haltbar ist. So lernen z. B. Ratten schneller, ein Labyrinth zu durchschwimmen, wenn sie vorher gelernt haben, es zu durchlaufen. Auch Versuchspersonen geben auf Befragen im Allgemeinen an, dass sie bei Lernexperimenten, in denen Paare gelernt werden mussten, nach Regeln gesucht haben. D. h. sie haben Verallgemeinerungen vorgenommen, ohne dass das explizit von ihnen verlangt worden wäre. Vermutlich hat es sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen, Regeln, Modelle oder Theorien über die Umwelt zu bilden, um deren Verhalten bzw. die Konsequenzen des eigenen Verhaltens in ihr vorherzusagen. Wie diese Verarbeitung der Umwelteinflüsse allerdings aussieht und ob sie mit den Regeln der mathematischen Logik, die dieselbe Terminologie verwendet wie die Alltagssprache, übereinstimmt, ist dadurch noch nicht geklärt. Tatsächlich akzeptieren z. B. ca. 80% der befragten Versuchspersonen eine logisch falsche, aber probabilistisch einsichtige Folgerung der Art, wie sie in Abbildung 4.1 gezeigt ist (Mayer, 1983 [->]). Die Untersuchung der Prozesse, die an der Lösung dieser Aufgaben beteiligt sind, ist Thema der Kognitionspsychologie, Gedächtnispsychologie bzw. der " Cognitive Science". Im KDD werden aber im Allgemeinen nicht dieselben Methoden und Maßstäbe verwendet, wie in diesen Disziplinen, sondern es werden lediglich allgemeine Prinzipien und Modelle übernommen.

ZUGANGAbb. 41: Mathematische Logik oder probabilistisches Schließen. Nach Ferber, Wettler & Rapp (1995)

ZUGANG4.1.1: Lernen als Informationsverarbeitung

ZUGANG4.1.2: Automatisches Lernen aus Beispielen


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